Mordfall an der "Seitze" Buche

Wer kennt sie nicht, die Kreuzung der Straßen Amorbach - Eberbach, sowie Schloßau - Hesselbach? Dem Odenwälder ist diese seit vielen Jahrzehnten als „Seitze Buche“ ein Begriff!

Doch wer kennt die tatsächlichen Begebenheiten, welche sich am 23. Oktober 1819 an jener Stelle abspielten?

So heißt es in der Überlieferung, daß ein fürstlich leiningischer Förster namens Seitz, durch einen Pakt mit dem Teufel bereits 11 Wilddiebe erschossen hat und am 23. Oktober 1819 sich von seiner Frau mit den Worten - „heute mache ich das Dutzend voll“ - verabschiedete. Doch kam er durch die 12. Kugel selbst um und wurde am anderen Morgen, unter der später nach ihm benannten Buche, neben der heutigen Kreuzung gefunden… Soweit die Sage.

Forscht man in dem fürslich leiningenschen Archiv über die Gegebenheiten von jenem 23. Oktober 1819 nach, findet man tatsächlich die Aufzeichnung, daß unter jener etwa 100 m von der Kreuzung entfernten, durch einen Blitzschlag längst vermoderten Buche, der Förster Seitz gefunden wurde.

Bereits seit 1803, also seit dem Reichsreputationshauptschluß als die Fürsten zu Leiningen in dieser Region sesshaft wurden, stand der in Gerichtstetten geborene Johann Stephan Seitz, quasi als ein Mann der ersten Stunde, in leiningenschen Diensten. Zuerst als Scharfschütze in Berolzheim, dann im fürsteneigenen Jägerkorps und seit 1807 als Jägerbursche oder Pirschknecht in Eberbach. Er diente recht „treu und fleißig“ laut einer dienstlichen Beurteilung aus dem Jahre 1812. Für mehrere eingefangene Wilderer erhielt er in den Jahren 1816 und 1817 Prämien. Am 21. Juni 1819 wurde er schließlich zum Forstgehilfen ernannt, womit eine Versetzung an das Schloßauer Tor, einer Passierstelle zum neu eröffneten, fürsteneigenen Wildpark, verbunden war.

An jenem 23. Oktober 1819 wurde Johann Stephan Seitz, an jener Straße zwischen Schloßau und Hesselbach, neben dem Weg tot aufgefunden. Untersuchungen an dem Toten ergaben, daß er aus nächster Nähe erschossen wurde. Die eingeleitete Fahndung, welche sich gegen Wilderer aus den näheren Umgebung richtete, blieb erfolglos, was mitunter auch daran lag, daß bei den Nachforschungen nur müßig vorgegangen wurde. Dank dem leiningenschen Rentamtmann Josef Hopf aus Mudau, konnte mit dem Michelstädter Nagelschmied Philipp Friedlein ein Augenzeuge ausfindig gemacht werden. Dieser hatte den Hergang der Tat aus unmittelbarer Nähe erlebt.

Seinen Aussagen zufolge gingen am hellen Nachmittag des 23. Oktober 1819 gegen 14.00 Uhr drei Männer zwischen 20 und 30 Jahren mit einem erlegten Stück Wild entlang der Straße in Richtung Schloßau. Unter einer Buche lauerte der Forstgehilfe Seitz den Männern auf. Der letzte der drei Männer schritt auf Seitz zu, sprach ihn an und schoß ihn mit seiner Flinte aus 2 Metern Entfernung ohne zu zögern nieder. Nach der Tat schaute er sich um, worauf er den Nagelschmied entdeckte. Er drohte, dass ihm das gleiche widerfahren werde, wenn er etwas über den Vorgang verraten würde.

Aufgrund Philipp Friedleins Personenangaben wurde durch Rentamtmann Hopf eine Fahndung in der näheren Umgebung eingeleitet und schon bald wurden in der Reisenbacher Mühle 3 Burschen verhaftet, auf welche die Personenbeschreibung paßte. Die 3 übten ein Wandergewerbe als Lohnhechsler aus und stammten alle aus benachbarten bayerischen Dörfern. Sie wurden getrennt in Arrest genommen, wobei 2 von ihnen ein Alibi für den Tatzeitpunkt vorlegen konnten und somit wieder entlassen werden mußten. Am 10 Januar 1820 kam es schließlich zur Gegenüberstellung des 3. Burschen, auf den die Beschreibung des Mörders genau paßte, mit dem Nagelschmied Philipp Friedlein. Dieser sagte jedoch aus, daß es sich nicht um den Gesuchten handele, welchen er auf ewig wiedererkennen würde. So wurde auch er entlassen und alle weiteren Nachforschungen blieben ergebnislos.

Das Schicksal der Kinder des Försters, ist im leiningenschen Archiv unter dem Stichwort „Gratialia“ beschrieben. Danach ereignete sich der Mord genau 2 Tage bevor Förster Seitz seine Verlobte, Elisabeth Schäfer, mit der er bereits 2 Kinder hatte, heiraten wollte. Um in Schloßau heiraten zu können, hatte die Mutter in Hebstal, im damaligen Großherzogtum Hessen-Darmstadt, ihr Heimatrecht aufgegeben und war in das Forsthaus am alten Schloßauer Tor gezogen. Den Geschwistern des Försters gelang es, die geringe Erbschaft dem 10 jährigen Mädchen und dem 3 jährigen Jungen vorzuenthalten, obwohl eine Reihe von Aussagen bestätigten, dass er sie als seine eigenen Kinder angesehen hatte. Seitens der fürstlichen Verwaltung wurde ihnen bis zur Vollendung des 13. Lebensjahres eine Waisenrente ausgesetzt, obwohl eigentlich keine rechtliche Verpflichtung hierzu bestand. Wegen der nicht zustande gekommenen Heirat, konnte der Mutter und den Kindern kein Heimatrecht in Baden gewährt werden, was ihre Ausweisung zur Folge hatte. In Hessen waren sie wegen des aufgegebenen Heimatrechts unwillkommen. Sie mussten schließlich resignierend feststellen, dass man sie nirgens haben wollte. Nachdem der immer kränkliche Bub im Alter von 13 Jahren gestorben war, wies der Bürgermeister von Beerfelden Mutter und Tochter mit der Begründung aus, dass sie hier nichts zu suchen hätten und der Bürgerschaft nicht weiter zur Last fallen solle, wie diese bereits die Kosten für die Beerdigung des dahier verstorbenen Sohnes zu tragen hatte. 

Vom ehemaligen Tor zum Wildpark des Fürsten, zeugt heute nichts mehr. Es stand an dem Weg wo es hoch geht an die Römeranlage Schneidershecke, links der Straße zwischen Schloßau und Hesselbach. Es wurde nach 1870 abgebrochen und die Steine teils im Schloßauer Rathaus eingemauert. Zu Zeiten von Förster Seitz ging das Feld rechts der Straße bis hinunter an das alte Schloßauer Torhaus.

Quellen:

  • mündliche Überlieferungen
  • Diverse Zeitungsausschnitte (ohne Quellenangabe)
  • Buch: Im „Wald da sind die Räuber“

Thomas Müller, Schloßau 

Bild: Kreuzung "Seitze Buche" um 1940