Das Christkind als Geschenkebringer

 Mit dem 24. Dezember endet schließlich der Advent und es beginnt die Weihnachtszeit. Der Adventskranz wird durch die Weihnachtskrippe und den Christbaum abgelöst und das Christkind steht bei uns als Gaben- oder besser als Geschenkebringer in den Startlöchern. Die Figuren dieser weihnachtlichen Gabenbringer sind vielfältig: Ob als amerikanischer „Santa Claus“ in rot-weißer Kleidung oder „Väterchen Frost“ im dicken Pelzmantel oder gar als „Julemand“ mit Zipfelmütze, sie sind über den ganzen Globus verteilt und jeweilige Kulturträger ihres Landes. Dort treten sie dann zwischen dem 06. Dezember und dem 06. Januar auf. Der Grund warum wir Christen alljährlich aber gerade ab dem 24. Dezember Weihnachten feiern, geht auf den römischen Kaiser Konstantin zurück.

Vor 2000 Jahren feierten die Römer ab dem 25. Dezember noch für mehrere Tage das Fest der Wintersonnenwende und verehrten den Sonnengott Sol Invictus. Kaiser Konstantin erhob schließlich im 4 Jh. das Christentum zur Staatsreligion und beendete die Christenverfolgungen. Um das Fest der Wintersonnenwende zu überlagern und den Geburtstag des Sonnengottes Sol mit dem Geburtstag von Jesus zu synchronisieren, wurde während seiner Herrschaft, Christi Geburt letztendlich auf den 25. Dezember gelegt. Die Geburtsstunde des Christkindes als weihnachtliche Figur geht jedoch auf Martin Luther, also auf das 16. Jh. zurück. Dieses wurde zur Reformation für die evangelischen Christen als Ersatz für Sankt Nikolaus eingeführt, der zu jener Zeit vor allem noch von Katholiken verehrt wurde. Das Christkind setzte sich aber im Laufe der Zeit für alle Christen zum Weihnachtsfest und als Geschenkebringer gegenüber dem Nikolaus durch. Allmählich entwickelten sich vielerlei Advents- und Weihnachtsbräuche. 

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Schloßauer Christkind vor dem Anwesen Scheuermann in der Mörschenhardter Straße im Jahr 1946. Für dieses Bild kündigte sich ist eigens ein Fotograf bei der noch selbständigen Gemeinde Schloßau an.
Repro: Thomas Müller

Mit der steigenden Industrialisierung änderten sich dann auch die Geschenke. Waren es zu Anfang noch selbstgebasteltes Spielzeug und Weihnachtsplätzchen, so folgten allmählich Puppen, Kaufläden, Schaukelpferde, Dampfmaschinen und Eisenbahnen. Heute sind es vor allem Laptops, Handys oder Spielekonsolen, die sich unter dem Christbaum wiederfinden. Die Werte der Geschenke stiegen mit dem Wohlstand und längst ist der Umsatz über die Weihnachtszeit ein maßgebender Index für den Zustand der allgemeinen Konsumwirtschaft geworden.

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Das Schloßauer Christkind mit seinen Begleiterinnen am 24.12.1970. Man beachte den typischen Kleidungsstil der 1970er Jahre. Repro: Thomas Müller

Für das Christkind als Überbringer der Gaben an die Kinder entwickelte sich seit etwa 1900 von Region zu Region ja häufig von Dorf zu Dorf jeweils ein eigenes Brauchtum. im Schwarzwald wurde das Christkind vom Pelzmärtel begleitet, im Kochertal vom Pelznickel und in Freudenberg am Main vom heiligen Josef. In Mörschenhardt stieg der Überlieferung nach das Christkind mit einer langen Leiter am „Hohen Stein“ vom Himmel herab, folgte einem Pfad durch den Wald und bescherte mit den hinzu gekommenen Begleiterinnen die Kinder im Dorf. Auf gleiche Weise zog es sich später wieder in den Himmel zurück. In Reisenbach zog ein weiß gekleidetes Mädchen mit einem Schleier und einer bunt funkelnden Brautkrone, dem „Schäppeli“ durch das Dorf, was in identischer Weise auch für einige Jahre von dem Schloßauer Christkind überliefert ist. Das Reisenbacher Christkind wurde zudem von einem achtbeinigen Schimmel, dargestellt von zwei Mädchen unter einem Leinentuch, begleitet. In vielen anderen Dörfern des Odenwaldes war das Begleittier hingegen, wie im biblischen Geburtsstall, ein Esel. Zudem waren überall in aller Regel einige Mädchen zur Gesangsbegleitung dabei. Mit dem steigenden Wohlstand und dem besser werdenden Wohnkomfort wollten die Hausfrauen allerdings keinen unnötigen Schmutz mehr in ihren Stuben haben.

Zudem hinterließen die mitgeführten Holzbeine des Esels ihre Spuren auf den Böden. So musste er immer häufiger draußen bleiben und verschwand allmählich überall als Begleiter des Christkindes. Im Schloßauer Oberdorf und im Unterdorf gab es über Jahrzehnte hinweg jeweils ein eigenes Christkind, um die vielen Hausbesuche an Heiligabend abwickeln zu können. Selbst im Ortsteil Waldauerbach gab es ein eigenes Christkind. Allmählich entwickelte sich das Brauchtum um die Darbietungen an Heiligabend zu einem regelrechten Markenzeichen für das Dorf und so wurde dies sogar über seine Grenzen hinaus bekannt. Im Jahr 1964 wurde das Schauspiel sogar von einem Fernsehteam gefilmt. Seine Blütezeit erlebte es während der kinderreichen Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre, zur Zeit des Deutschen Wirtschaftswunders, als man sich von den Kriegswirren allmählich erholt hatte.

Damals waren an Heiligabend wieder mehrere Dutzend Häuser zu besuchen. Zur Vorbereitung der eigentlichen Aufführung kamen in der Vorweihnachtszeit die Mädchen der Abschlussklasse aus der Volks- bzw. Hauptschule zusammen, um die Rollenverteilungen festzulegen. Danach wurden die Weihnachtslieder ausgewählt und Texte zusammengestellt. Das Christkind des Vorjahres übergab das Kleid und die Utensilien an die neuen Darstellerinnen. Bis in die 1980er Jahre musste für jeden besuchten Haushalt auch noch eine Rute aus Birkenreisig beschafft werden, wobei die Mädchen üblicherweise von Senioren unterstützt wurden. Je eine Rute blieb dann in den Haushalten zurück. Die Tradition mit der Rute geht darauf zurück, dass einige sanfte Züge auf Kopf und Schulter Glück und Segen bringen sollen. Auf Gebet und Gesang der Begleitmädchen folgten Beiträge der Kinder und die Bescherung der Anwesenden. Danach ging es weiter zum nächsten Haushalt. So hatte es seinen festen Weg durch die Straßen. 

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 Wie sich die Zeiten ändern - Christkind mit Begleiterinnen im festlich geschmückten Wohnzimmer der Familie Balles in Schloßau am 24.12.2016. Bild: Diana Balles

Bei den Eltern war der Unmut groß, wenn ihre Kinder ungeduldig am festlich geschmückten Christbaum warteten, das Christkind aber eisern auf dem Weg durch das Dorf blieb. Auch die Christmette durchkreuzte den Terminplan der Eltern immer wieder. Bis auf das Coronajahr 2020, spielte sich dies seit etwa 1900 alljährlich in ähnlicher Weise ab. Auch während der Kriegsjahre zog das Christkind durch die Schloßauer Straßen. Allerdings waren aufgrund der Kriegswirren in den Jahren 1944 bis 1946 jeweils die gleichen Mädchen, in Straßen ohne jeden weihnachtlichen Glanz unterwegs und besuchten die zahlreichen Kinder. Die Verdunkelungsgebote mussten eingehalten werden. Heute, im Zeitalter der Mobilität und zurückgehenden Kinderzahlen, ist die Auftragslage deutlich zurückgegangen, so dass es nur noch ein Christkind für Schloßau mit Waldauerbach gibt. Zudem werden längst auch auswärtige Kinder in der Gesamtgemeinde Mudau aufgesucht. In vielen anderen Dörfern ist der schöne Brauch sogar schon längere Zeit ganz verschwunden.

Thomas Müller, Schloßau im Dezember 2020